ČSSR und Tschechien

Die vielen Gesichter von Julius Fučík und der Reportage

Markéta Kabůrková, Národni muzeum Prag, Archiv

In Zeiten, in denen sich ein politisches Regime radikal verändert, stürzen die Symbole des vorherigen politischen Establishments von ihrem Podest. Oftmals passiert das nicht um ihrer selbst willen, sondern einfach, weil sie ihre Funktion verloren haben, die mit den Narrativen der alten Macht verknüpft war. Das „zweite Leben“ des Julius Fučík kann als Beispiel für einen solchen Wandel dienen.

Bereits kurz nach dem Krieg begannen sich die Menschen in der Tschechoslowakei an Julius Fučík (1903–1943) zu erinnern – als Vertreter der Zwischenkriegs-Avantgarde, Theater- und Literaturkritiker, kommunistischen Journalisten und Autor, als Märtyrer des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und Vorbild eines „echten sozialistischen Mannes“, aber auch als einen angeblichen Gestapo-Informanten (die Liste der Beschreibungen Fučíks ließe sich fortsetzen).

Fučíks im Herbst 1945 veröffentlichte Reportage unter dem Strang geschrieben landete 1946 laut einer Umfrage der Tageszeitung Svobodné noviny (heute: Lidové noviny) unter den beliebtesten Büchern mit Kriegserinnerungen auf dem dritten Platz. Kurz nach der kommunistischen Machtübernahme waren es jedoch die privaten Erinnerungen von Fučíks trauernder Witwe, Gusta Fučíková, die einen historischen Mythos entstehen ließen – mit tatkräftiger Unterstützung der Parteiführung und -propaganda. Denkmäler und Erinnerungstafeln schossen wie Pilze aus dem Boden und dienten über die Jahre immer wieder als Erinnerungsorte und Zentren rituellen Gedenkens für alle Teile der sozialistischen Gesellschaft. Auch die Person Fučíks und seine Geschichte eines Kriegshelden wurde zu einem Denkmal gemacht und sein literarisches Werk in den nationalen Kanon aufgenommen.

Verständlicherweise entstand an den Rändern ein alternatives Bild – Exilant*innen und Dissident*innen schufen einen Anti-Mythos, in dem Fučík als Symbol schädigender ideologischer Manipulation diente. Als dieses Narrativ nach der Samtenen Revolution von 1989 an Boden gewann, nahm die Bereinigung des kulturellen Gedächtnisses fast fanatische Züge an. Fučík verschwand aus dem öffentlichen Raum: Statuen wurden abgerissen, Straßen und Institutionen umbenannt. Sein literarisches Werk wurde aus den Lehrbüchern entfernt und zahlreiche Artikel enthüllten die „Wahrheit“ über seine umstrittene Persönlichkeit und seine Taten. Zur gleichen Zeit trug die vollständige und kritische Ausgabe der Reportage (1995) zur Entmythologisierung Fučíks bei und bereitete der wissenschaftlichen Forschung den Weg. Diese konnte zeigen, dass entscheidende Abschnitte des Originalmanuskripts zensiert worden waren. 2008 organisierte das Institut für tschechische Literatur der Tschechischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit der europäischen Kulturzeitschrift Vulgo die erste interdisziplinäre Fučík-Konferenz. Anschließend wurden die Beiträge wissenschaftlich begutachtet und in dem Sammelband Julek Fučík/věčně živý! veröffentlicht. Es schien so, als sei der Grundstein dafür gelegt, Fučík endlich als historisches Thema zu verstehen.

Allerdings zeigen die konfrontativen Reaktionen auf eine Ausstellung des Archivs des Nationalmuseums und des Instituts zur Erforschung totalitärer Regime im Jahr 2020, dass dies nur zum Teil zutrifft. Zwischen 2014 und 2017 nahm das Nationalmuseum die Schenkung wertvoller Sammlungen des ehemaligen Museums der Arbeiterbewegung an, darunter auch die Nachlässe von Julius Fučík und Gusta Fučíková. Ziel des staatlich geförderten Projekts The Museum of Workers’ Movement in the 21st Century – Presentation of the Use of the Museum Collection Created in the Era of State Socialism and the Ways of Use of Its Materials for Professional and Wide Public (2016–2022) war die Erfassung, Bearbeitung, Digitalisierung, aber auch die Neubewertung und -interpretation der Sammlungen.

Die schon erwähnte, kontrovers aufgenommene Ausstellung ReporTvář Julia Fučíka (Die vielen Gesichter von Julius Fučík und der Reportage) war eines der ersten Projektergebnisse. Die Ausstellungsmacher*innen haben sich dabei auf Fučíks „zweites Leben“ konzentriert – also auf sein national und international bedeutsames literarisches Werk sowie auf sein Bild (Gesichter) in der politischen, kulturellen und individuellen Erinnerung. Die Ausstellung verfolgt den Weg von Originalfetzen des Gefängnistoilettenpapiers, auf denen Fučík seine letzte Reportage schrieb, über die ersten zensierten Transkripte und dutzende tschechische und anderssprachige Ausgaben bis zu den vielen verschiedenen Spuren, die das Buch in der tschechoslowakischen bzw. tschechischen Gesellschaft hinterlassen hat. Auch die Ursachen für das Entstehen und Verschwinden von Heldenkulten wurden untersucht. Am Beispiel Fučíks ließ sich veranschaulichen, wie die Menschen in der Tschechoslowakei bzw. in Tschechien mit ihrer eigenen Vergangenheit umgingen und umgehen, wie das (kulturelle) Gedächtnis funktioniert und nach welchen Prinzipien nationale Identität geformt wurde und wird. Die Ausstellung, die passenderweise im Nationaldenkmal auf dem Vitkov Hügel in Prag gezeigt wurde, war trotz der Pandemiebeschränkungen relativ gut besucht und hat verschiedene kritische Reaktionen in der Presse hervorgerufen. Trotz allem haben die meisten Besucher*innen am Ende nur eine Antwort auf die unnötig vereinfachende Frage gesucht, ob Fučík nun ein Held oder ein Schurke war.

Tschechische Website zur Ausstellung ReporTvář Julia Fučíka

Fučík-Abzeichen des sozialistischen Jugendverbandes der ČSSR, um 1962. Das golden bemalte Abzeichen zeigt in der Mitte das Profil Fučíks. Über dem Profil befindet sich der Schriftzug „Lidé bděte!“ („Menschen seid wachsam!“).

Fučík-Abzeichen des sozialistischen Jugendverbandes der ČSSR, um 1962,
© Museum Pankow, Inv.-Nr. O000055

Foto der Julius Fučík Statue (1978) auf den Prager Friedhöfen Olšany von Miloslav Šonka aus dem Jahr 2014. Die Statue stellt Fučík mit einer Zeitung in der Hand dar, während er in die Ferne blickt. Auf den Sockel der Statue sind einige Grabkerzen gestellt.

Statue Julius Fučíks (1978) auf den Prager Friedhöfen Olšany von Miloslav Šonka, 2014,
Foto: Dalibor Jelínek © Wikimedia Commons

Gedenken an Fučík in der DDR

In der DDR erschien die erste Ausgabe der Reportage unter dem Strang geschrieben 1947 im Dietz Verlag. Weitere Ausgaben in anderen Verlagen folgten. Wie in der ČSSR sah man auch in der DDR die Jugend als Hauptzielgruppe für die Lektüre. So veröffentlichte der Kinderbuchverlag Berlin 1981 eine speziell für Jugendliche überarbeitete Ausgabe des Buches. In der Begründung zur Erteilung der Druckgenehmigung heißt es: „Worte, die vor mehr als 35 Jahren geschrieben wurden und nichts an Aktualität verloren haben. Antifaschistischer Widerstand, Kampf gegen barbarische Schreckensherrschaft – ein Thema, das nicht in Vergessenheit geraten darf, nicht nur um der Opfer zu gedenken, sondern auch, weil dieser Kampf noch nicht in allen Teilen der Welt endgültig entschieden ist.“

Auch weitere Buchtitel und Biografien über Fučík wurden veröffentlicht. Die Reportage blieb das bekannteste Werk in der DDR. Im Nachwort zu einer Sammlung tschechischer Erzählungen, erschienen 1982 bei Reclam Leipzig, wurde die Reportage als „Gipfelpunkt der tschechischen antifaschistischen Literatur“ bezeichnet.

Die Zeitungen in der DDR würdigten regelmäßig Fučíks Leben und Werk, wenn sich sein Geburts- oder Todestag jährte.

Wie in der ČSSR wurden auch in der DDR Straßen und Plätze nach Julius Fučík benannt. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Fučík-Platz in Dresden, der 1951 diesen Namen erhielt. Dort wurde 1963 auch ein Denkmal für Fučík eingeweiht. Seit 1991 trägt der Platz den Namen Straßburger-Platz. Das Denkmal blieb erhalten. Auch die ehemalige Julius-Fučík-Straße in Gera erhielt 1991 ihren alten Namen De-Smit-Straße zurück. Heute finden sich etwa in Stralsund oder Mittweida noch Straßen, die nach Fučík benannt sind. Neben dem Fučík-Denkmal in Dresden und dem Denkmal im Pankower Bürgerpark erinnert heute nur ein weiteres Denkmal in Magdeburg an Julius Fučík.

Auch in der DDR trugen Schulen Fučíks Namen. So erhielt im März 1973 im Berliner Stadtbezirk Pankow die 1. Pankower Oberschule in der Wollankstraße seinen Namen. An der Umbenennung nahm auch seine Witwe Gusta Fučíková teil. Mehrtägige Feierlichkeiten gingen mit der Umbenennung der Erweiterten Oberschule (EOS) Waldheim in Julius-Fučík-Oberschule 1959 einher. Unter den Gästen waren Gusta Fučíková und der tschechoslowakische Botschafter in der DDR. Beide Schulen tragen den Namen heute nicht mehr. Sie wurden wie fast alle Fučík-Schulen nach 1990 umbenannt oder in andere Schulen eingegliedert. In Deutschland trägt heute nur noch die 1974 eingeweihte Fučík-Schule in Zwickau seinen Namen.

Neben Straßen und Schulen waren bis 1990 zahlreiche Betriebe und Arbeitsbrigaden nach Julius Fučík benannt.

Umbenennung des Straßburger Platzes in Fučík-Platz in Dresden im Jahr 1951. Vor einem Transparent in den tschechischen Nationalfarben und einem Bild von Fučík steht das neue Straßenschild des Fučík- Platzes.

Umbenennung des Straßburger Platzes in Fučík-Platz in Dresden, 1951,
Foto: Erich Höhne/Erich Pohl © SLUB / Deutsche Fotothek


Titelblatt der Festschrift anläßlich der Namensgebung der Julius-Fučík-Oberschule Klingenthal, Druck, 1964

Titelblatt der Festschrift anläßlich der Namensgebung der Julius-Fučík- Oberschule Klingenthal, Druck, 1964,
© Národní muzeum Prag – ANM, Sbírka MDH, f. Julius Fučík a Gusta Fučíková


Kranzniederlegung am Dresdner Fučík- Denkmal anlässlich des 25. Jahrestages seiner Hinrichtung im September 1968. Vor dem Fučík-Denkmal in Dresden liegen viele Kränze. Eine Gruppe von Mädchen und Jungen steht vor dem Denkmal und macht den Pioniergruß.

Pioniere bei einer Kranzniederlegung am Dresdner Fučík- Denkmal anlässlich des 25. Jahrestages seiner Hinrichtung, September 1968,
Foto: Erich Höhne/Erich Pohl © SLUB / Deutsche Fotothek


Foto vom Julius Fučík-Denkmal am Straßburger Platz (ehemaliger Fučík-Platz) in Dresden aus dem Jahr 2004. Das Denkmal mit einem Relief von Fučíks Gesicht und der Inschrift „Menschen ich hatte Euch lieb. Seid wachsam“ steht vor einigen Bäumen.

Julius Fučík-Denkmal am Straßburger Platz (ehemaliger Fučík- Platz) in Dresden, 2004,
Foto: Jörg Blobelt © Wikimedia Commons

Foto vom Julius Fučík-Denkmal in Magdeburg aus dem Jahr 2021.

Julius Fučík-Denkmal in Magdeburg, 2021,
Foto: Michael Ertl © Michael Ertl, Stadtplanungsamt Magdeburg

Literarische Rezeption

Auszüge aus Nočni Host (Ein nächtlicher Gast) von Vítězslav Nezval

Porträtaufnahme von Vítězslav Nezval aus dem Jahr 1934

Vítězslav Nezval, 1934,
Fotograf*in unbekannt © Wikimedia Commons

Das 1955 veröffentlichte Gedicht von Vítězslav Nezval (1900–1958) beschreibt einen Besuch Julius Fučíks bei dem Dichter kurz vor seiner Verhaftung 1942. Nezval zählte zu den wichtigsten tschechischen Dichter*innen der Zwischenkriegszeit und gilt als ein Mitbegründer der literarischen Richtung des Poetismus. Seit 1924 war er Mitglied der Kommunistischen Partei Tschechiens und schrieb, wie Fučík, auch für die Parteizeitung Rudé Pravó.


Jeho tvář vyšla jako slunce,
Jak slunce z hloubí pralesa, který propal do země
Tvář herce, jenž dohrál hrdinnou roli
A přichchází do kaverny vypití s přáteli čaj.

Sein Gesicht erschien wie eine Sonne,
Wie eine Sonne aus Urwaldtiefen, gefallen auf die Erde
Das Gesicht eines Schauspielers, der eine Heldenrolle gespielt hat
Und nun ins Kaffeehaus geht, mit Freunden Tee zu trinken.

Celým svým životem dovedl sjednotit povinnost s dobrodružstvím
Myslím, že totéž žádá od poezie a umění.

Sein ganzes Leben schaffte er es, die Pflicht mit dem Abenteuer zu vereinen
Ich denke, das Gleiche verlangt er von Poesie und Kunst!

Být připraven na veliký úkol,
To znamena umět radovati se,
Aby se všichni jednoho dne radovali,
Aby se dalo obstat každé zkoušce […]


Vorbereitet sein auf die große Aufgabe,
Das bedeutet, sich freuen zu können,
Damit sich eines Tages alle freuen,
Damit sich jede Prüfung bestehen lasse […]

Übersetzung ins Deutsche: Stefan Zwicker


Auszüge aus Poslední Máj (Der letzte Mai) von Milan Kundera

Fotografie von Milan Kundera aus dem Jahr 1980

Milan Kundera, 1980,
Foto: Elisa Cabot © Wikimedia Commons

Das 1955 entstandene Gedicht beschreibt einen Ausflug, den der Gestapo-Offizier Josef Böhm mit dem inhaftierten Julius Fučík unternimmt. Der tschechische Autor Milan Kundera (*1929) war 1950 aus der Kommunistischen Partei Tschechiens (KPTsch) ausgeschlossen worden. 1956 wurde er jedoch wieder aufgenommen. Mit der Zeit ging er zunehmend auf Distanz zu den politischen Verhältnissen in seinem Land und beteiligte sich 1968 auch am Prager Frühling. Dies führte zu einem erneuten Parteiausschluss und dem Verlust seines Lehrstuhls an der Prager Filmhochschule. Milan Kundera emigrierte 1975 nach Frankreich. Seine kritische Position gegenüber dem kommunistischen System dokumentiert der Roman Der Scherz (1967). Er handelt von einem Studenten, dem wegen eines Witzes, den er erzählt hat, vorgeworfen wird, sich über die Ideale, für die Fučík gestorben sei, lustig gemacht zu haben. Auf Betreiben eines Freundes wird er schlussendlich der Universität verwiesen und aus der Partei ausgeschlossen. Spätere Versuche, sich am Freund zu rächen, misslingen.


[…] A vězeň náhle říká: „Ne!“
Slovo ze mne nikdo nevyrve.
A hrozíte-li mi smrtí, hrozte si!

[…] Und der Häftling ruft plötzlich „Nein!“
Aus mir bekommt ihr kein Wort heraus.
Und droht ihr mir mit dem Tod, dann drohet ruhig!

Střílejte do nás, a my přece
budeme živi v stromech, v řece,
do trnů růží utečern se,
budeme všude v patách vám,
my osedláme uragán,
budem vás hlídat z drápů ptáků
i ze zobáků
vran! […]

Schießt auf uns, wir werden
Lebendig sein in den Bäumen, im Flusse,
wir fliehen in die Dornen der Rosen,
und werden euch überall auf den Fersen sein,
wir reiten auf einem Hurrikan,
wir bewachen euch aus Vogelkrallen
und den Schnäbeln
der Krähen! […]

Übersetzung ins Deutsche: Stefan Zwicker


Auszug aus dem Gedicht On bude s námi v Bukurešti (Er wird bei uns sein in Bukarest) von Pavel Kohout

Fotografie von Pavel Kohout aus dem Jahr 2019

Pavel Kohout, 2019, Foto: Amrei-Marie © Wikimedia Commons

Das Gedicht des tschechischen Dichters Pavel Kohout (*1928) ist im Band Zeit der Liebe und des Kampfes. Verse und Lieder aus den Jahren 1952–1954 erschienen. Auch Kohout war zunächst Mitglied der KPTsch und leitete in dieser Zeit auch ein nach Fučík benanntes Theaterensemble. Seine Beteiligung am Prager Frühling führte 1969 wie bei Milan Kundera zum Parteiausschluss. Aufgrund seines Engagements in der tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung wurde er während eines Aufenthaltes in Österreich 1979 ausgebürgert.


Proto ho spatříš roztáčet se v polce
a trhat svěží růži komsomolce
a na lavičce v parku verše psát.
Jde ulicemi, písničku si hvízdá,
počítá hvězdy, národy i hnízda
a usmívá se – „ Lidé, mám vás rád!“


Daher wirst du ihn erblicken beim Polkatanze
und frische Rosen pflücken der Komsomolzin
und auf der Bank im Park Verse schreiben.
Er geht durch die Straßen, pfeift ein Liedchen,
zählt die Sterne, Völker und Nester
und lächelt – „Menschen, ich habe euch gern!“

Übersetzung ins Deutsche: Stefan Zwicker


Gedicht Radiante Julius (Julius Fučík, Strahlender du) von Pablo Neruda

Undatierte Fotografie von Pablo Neruda

Pablo Neruda, undatiert, Fotograf*in unbekannt © Wikimedia Commons, Biblioteca del Congreso Nacional

Das 1954 erschienene Gedicht stammt von dem chilenischen Dichter und Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda (1904–1973). Gedichte Nerudas, die Fučík gewidmet waren, wurden unter anderem bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum von Fučíks Geburtstag 1953 in Prag vorgetragen.


RADIANTE Julius, – del panal de las vidas
célula férrea y dulce, hecha de miel y fuego! –
danos hoy como el pan de cada día
tu esencia, tu presencia,
tu simple rectitud de rayo puro.
Ven a nosotros hoy, man᷉ana, siempre,
porque, sencillo héroe,
eres la arquitectura
del hombre de man᷉ana.

Julius Fučík, Strahlender du – der Wabe des Lebens
eiserne süße Zelle, aus Honig geformt und Feuer –,
gib uns heute als unser täglich Brot
dein Wesen, deine Gegenwart,
deine, eines lichten Strahls schlichte Lauterkeit.
Komm zu uns am heutigen Tage, morgen und immerdar,
denn du, aufrechter Held,
bist die Struktur
des morgigen Menschen.

Cuando la muerte te golpeó, la luz
brilló sobre el planeta
con el color de abeja de tus ojos,
y el germen de la miel y de la lucha,
de la dulzura y de la dureza,
quedaron implantados
en la vida del hombre.

Da der Tod dich traf, glänzte
über dem Planeten das Licht
in der Bienenfarbe deiner Augen,
uns des Honigs und des Kampfes Keim,
der Süße und der Härte
wurde eingepflanzt
ins Leben des Menschen.

Tu decisión destruyó el miedo,
y tu ternura, las tinieblas.
Entraste, hombre desnudo,
en la boca de nuestro infierno
y con el cuerpo lacerado,
intacta, sin romper fué tu apostura
y la verdad activa
que a pesar de la muerte preservaste.

Deine Entschlossenheit zerstörte die Angst
und deine zärtliche Liebe die Finsternis.
Eintratest du, ein nackter Mensch,
in den Schlund unserer Hölle,
und mit zerschlagenem Leib
blieb ohne zu zerbrechen deine Wohlgestalt, unberührt
und weiterwirkend die Wahrheit,
die du bewahrtest trotz des Todes.


Rezeption in der Bildenden Kunst

Julius Fučík Portrait von Max Švabinský

Die Kreidezeichnung des tschechischen Malers und Grafikers Max Švabinský (1873–1962) aus dem Jahr 1950 wurde vielfach von der KPTsch benutzt. Sie basiert auf einem Foto Fučíks als 30-Jährigen, ist aber idealisierend gestaltet. Die Zeichnung wurde ikonografische Vorlage für zahlreiche Fucik Darstellungen in der bildenden Kunst: ein junger Mann mit einem fröhlichen, energischen und der Zukunft entgegenblickenden Gesichtsausdruck. Zudem wurden meist Attribute eines Literaten, wie eine Zeitung oder ein Buch in der Hand, ergänzt.
Švabinský erhielt für das Porträt den tschechoslowakischen Friedenspreis. Für den Historiker Stefan Zwicker ist jedoch unklar, ob der Künstler überhaupt wusste, dass sein Werk propagandistisch genutzt werden sollte. Zwicker beruft sich auf die Erinnerung von Švabinskýs Stieftochter, nach der Gusta Fučíková den Künstler um ein Porträt für ihren Nachtisch gebeten habe. Švabinský soll von der späteren Verbreitung des Bildes und seiner Instrumentalisierung überrascht gewesen sein.

Max Švabinský: Portrait von Julius Fučík, Lithographie mit einer Autorenwidmung für Antonín Zápotocký, 1950

Max Švabinský, Portrait von Julius Fučík,
Lithographie mit einer Autorenwidmung für Antonín Zápotocký, 1950,
© Národní muzeum Prag – ANM, Sbírka MDH, f. Julius Fučík a Gusta Fučíková


Julius Fučík Portrait von František Matoušek

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag sowie zum zehnten Todestag Julius Fučíks im Jahr 1953 fertigte der Avantgarde-Maler František Matoušek (1901–1961) dieses Ölgemälde an. Es wurde zuerst in einer Ausstellung des Künstlerischen Vereins auf der Slawischen Insel in Prag gezeigt und anschließend im Klement-Gottwald-Museum ausgestellt. Als Beilage der Wochenzeitung Kvéty fand das Porträt im September 1953 weitere Verbreitung.

František Matoušek: Julius Fučík, Öl auf Leinwand, 1953, 140 x 93 cm

František Matoušek: Julius Fučík, Öl auf Leinwand, 1953, 140 x 93 cm, © Národní muzeum Prag – Sbírka Muzea dělnického hnutí, fond Výtvarné umění, Inv.-Nr. H11U-173

Rezeption in Theater und Film

Julius Fučík (Prag bleibt mein) von Jurij Burjakovskij

Die Dramatisierung der Reportage durch den russischen Autor Jurij Burjakovskij (1914–1973) wurde im Februar 1951 unter dem Titel Lidé, bděte (Menschen, seid wachsam) uraufgeführt. Eine weitere große Aufführung fand anlässlich der offiziellen Festlichkeiten zu Fučíks 50. Geburtstag in Prag statt. Seine deutsche Premiere feierte das Stück am 22. Dezember 1951 im Ostberliner Deutschen Theater. Regie führte Wolfgang Langhoff, das Bühnenbild wurde von den Brüdern Wieland Herzfelde und John Heartfield entworfen. Ernst Busch spielte die Rolle des Julius Fučík. Neben zahlreichen Inszenierungen in der ČSSR und der DDR gab es auch Aufführungen in anderen „sozialistischen Bruderländern“, so 1953 in China durch das Nankinger Militärensemble in Peking.

Plakat von John Heartfield für das Stück Julius Fučík im Deutschen Theater Berlin im Jahr 1951. Es zeigt den Blick von der Karlsbrücke in die Prager Altstadt. Der Name des Stücks ist in roter Farbe auf das Plakat geschrieben.

Plakat von John Heartfield für das Stück Julius Fučík im Deutschen Theater Berlin, 1951,
© Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, Inv.-Nr.: JH 30300


Szenenbild aus dem Stück Julius Fučík von Juri Burjakowski am Deutschen Theater Berlin im Dezember 1951. In der Szene sitzt Fučík (gespielt von Ernst Busch) in einem holzvertäfelten Raum an einem Schreibtisch. Hinter dem Tisch steht ein Beamter der deutschen Besatzung, der Fučík verhört und ihn dabei anschreit.

Szenenbild mit Ernst Busch als Julius Fučík aus der Burjakowski- Aufführung am Deutschen Theater Berlin, Dezember 1951, Foto: Abraham Pisarek © SLUB / Deutsche Fotothek


Szenenbild aus dem Stück Julius Fučík von Juri Burjakowski am Deutschen Theater Berlin im Dezember 1951. In der Szene führt Fučík (gespielt von Ernst Busch) ein konspiratives Gespräch mit einem anderen Widerständler. Im Hintergrund ist eine Frau zu sehen, die Wache hält.

Szenenbild mit Ernst Busch aus dem Stück Julius Fučík von Juri Burjakowski am Deutschen Theater Berlin, Dezember 1951, Foto: Abraham Pisarek © SLUB / Deutsche Fotothek


Der Weg zur Unsterblichkeit von Vladimir Bragin und Georgij Tovstonogov

Das ebenfalls auf der Reportage basierende Drama Der Weg zur Unsterblichkeit wurde in einer Inszenierung von Vladimir Bragin und Georgij Tovstonogov (Regisseur am Leningrader Staatlichen Theater „Lenin-Komsomol“ in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg) 1951 uraufgeführt.

Szene aus dem Theaterstück Der Weg zur Unsterblichkeit, Sankt Petersburg, 1952. In der Szene befinden sich Fučík und ein anderer Mann in einer Gefängniszelle. Sie blicken zusammen aus einem vergitterten Fenster.

Szene aus dem Theaterstück Der Weg zur Unsterblichkeit, Sankt Petersburg, 1952,
Fotograf*in unbekannt, aus: Václav Kopecký (Hrsg.): Julius Fučík in Fotografien, Prag 1953, S. 114 (Kopie)


Film Reportage unter dem Strang geschrieben

Der 1962 gedrehte tschechoslowakische Film kam 1963 in die Kinos der DDR.

Anzeige zur Premiere des Films Reportage unter dem Strang geschrieben in der DDR im Jahr 1963

Anzeige zur Premiere des Films Reportage unter dem Strang geschrieben in der DDR,
1963, aus: Berliner Zeitung, 04. 09. 1963, S. 11

Vierseitiges Programmheft von 1963 zum Film Reportage unter dem Strang geschrieben des tschechoslowakischen Regisseurs Jaroslav Balík. Es zeigt verschiedene Filmfotos. Zudem gibt es Informationen über die Darsteller:innen und eine Inhaltsangabe.

Vierseitiges Programmheft zum Film Reportage unter dem Strang geschrieben des tschechoslowakischen Regisseurs Jaroslav Balík, 1963, © VEB Progress Film-Vertrieb, Berlin (Ost)

Musikalische Rezeption

Píseň o Fučíkovi (Lied über Fučík)

Das Stück wurde 1951 von Radim Drejsl (1923–1953) für einen Massenchor komponiert. Der Text stammt von Miroslav Zachata. Die hier verlinkte Version ist eine Aufnahme aus dem Jahr 1961 mit dem Tschechischen Chor, dem Prager Sinfonieorchester und den Solisten Miroslav Frydlewicz, Jaroslav Kachel und Ladislav Mráz.


Julius Fučík von Luigi Nono

Das Stück wurde 1951 vom italienischen Komponisten Luigi Nono (1924–1990) geschrieben, jedoch nie zu dessen Lebzeiten aufgeführt. Es verwendet Ausschnitte aus der Reportage sowie aus dem Abschiedsbrief Fučíks an seine Eltern und Schwestern. Nachdem der Dirigent Peter Hirsch das Stück wiederentdeckt hat, wurde es 2006 erstaufgeführt. Die hier verlinkte Aufnahme stammt aus einem Konzert des Rundfunkorchesters Berlin vom 17. September 2017 (Dirigent: Vladimir Jurowski; Sprecher: Max Hopp, Sven Philipp).


Szene IV und VI aus Luigi Nonos Oper Intolleranza 1960 (1961)

Die Oper Nonos, die zur Biennale in Venedig 1961 uraufgeführt wurde, handelt von einem Emigranten und dessen Erfahrungen mit politischen Widerstand, Unterdrückung und persönlichen Schicksalsschlägen. Für das Libretto verwendete Nono unter anderem Ausschnitte aus Werken Jean-Paul Sartres und Bertolt Brechts sowie für die hier verlinkten Szenen Passagen aus Fučíks Reportage. Die Aufnahme stammt von einer Aufführung des Staatsorchesters Stuttgart unter der Leitung von Bernhard Kontarsky.

Rezeption in Denkmälern

Neben Denkmälern für Julius Fučík gibt es auch zahlreiche Erinnerungsorte, die auf sein Werk Bezug nehmen. Häufig zitiert wird dabei sein Satz: „Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wachsam!“ Ein Beispiel ist das Grabmal auf dem Friedhof im brandenburgischen Freyenstein, mit dem an jene Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnert wird, die den sogenannten Todesmarsch nicht überlebten. Die Inschrift lautet:

Menschen seid wachsam
ich hatte Euch lieb. (Sucek)

Hier ruhen
sechs durch die SS Schergen
ermordete KZ-Häftlinge
Wir werden Euch nie vergessen.

Warum die Inschrift den Namen Sucek nennt, ist nicht mehr nachvollziehbar.

Grabmal für ermordete Häftlinge des KZ Sachsenhausen im brandenburgischen Freyenstein, einem Ortsteil von Wittstock/Dosse, 2014. Der Grabstein, der sich auf einer Wiese befindet, trägt den Schriftzug Menschen seid wachsam. Ich hatte euch lieb.

Grabmal für ermordete Häftlinge des KZ Sachsenhausen im brandenburgischen Freyenstein, einem Ortsteil von Wittstock/Dosse, 2014,
Foto: Clemensfranz © Wikimedia Commons

Ein weiteres Beispiel findet sich in Putbus (Lauterbach) auf Rügen. Das von Werner Stötzer gestaltete Denkmal erinnert an die in Lauterbach ermordeten Häftlinge des Konzentrationslagers Stutthof. Auch dieses Denkmal zitiert Fučíks berühmten Satz.

Foto des Gedenksteins für ermordete KZ- Häftlinge in Lauterbach, einem Ortsteil von Putbus auf Rügen aus dem Jahr 2013. Die Stele mit den Worten Menschen ich hatte euch lieb. Seid wachsam steht vor einem Baum. Auf die Stele sind einige Steine gelegt worden.

Gedenkstein für ermordete KZ- Häftlinge in Lauterbach, einem Ortsteil von Putbus auf Rügen,
2013, Foto: J.-H. Janßen © Wikimedia Commons